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- Es
folgt eine ältere Schilderung über...
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Die
Spieluhren-Metropole
Sainte-Croix
im Schweizer Jura
Sainte-Croix
gilt weltweit als Metropole der Spieluhren
und Musikautomaten.
Zwar ist die große Zeit der Spieluhren vorbei, doch noch immer werden
in dem Städtchen im Schweizer Jura die tönenden Kunstwerke gefertigt,
ist ihre traditionelle Herstellungsweise zu bewundern, und ein kleines
Museum zeigt ihre Geschichte.
"Bienvenue
au pays des rêves mécaniques." Mit diesem in Blech gestanzten
Willkommensgruß empfängt das Schweizer Städtchen Sainte-Croix all
jene, die in Yverdons-les-Bain den Schienenbus mit den lachenden
gelben Walzenkobolden auf dem frischen blauen Lack zum Aufstieg
auf den "Balkon des Waadtländer Jura" wählten und nach
35 Fahrtminuten nun an der 1.000 Meter hoch gelegenen Endhaltestelle
der Strecke angelangt sind. "Willkommen im Land der mechanischen
Träume."
- Drei Plakate
säumen die freundlichen Worte unter dem blau-weißen Bahnhofsschild.
Sie künden von den Besonderheiten der 4600-Seelen-Kommune nahe der
französischen Grenze:
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Dem CIMA-Museum, der Spieluhrenfabrik Reuge
und dem Musée Baud, einer privaten Sammlung mechanischer Musiken
in der Nachbargemeinde Auberson.
Mit diesen drei Einrichtungen erinnert
das an die Jura-Hänge gestaffelte "Dorf der Töne", wie
sich Sainte-Croix auf einer Postkarte nennt, an die wirtschaftliche
Blütezeit der Region, die zunächst als Hochburg der Uhrenindustrie
galt.
Um 1890 dann zur "Welthauptstadt" der mechanischen
Musiken avancierte und heute als einzige Stätte in der Schweiz das
Erbe von Anton Favre, dem Genfer Erfinder der Musikdose, weiterführt.
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Große
Walzenspieldose -
- Auf
großen Walzen sind
ca.
8 - 10 Musiktitel gestiftet,
auf
kleineren ca. 4 - 6 Titel.
Die
wichtigsten Hersteller waren...
L'Epee
- Abrahams - BakerTroll
Mermod
Freres - Nicole Paillard
B.A.
Brémond - Rzebitschek
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Anno
1796 kam Favres boîte à musique zur Welt.
Ein Taschenührchen, in dem - ähnlich wie beim Glockenspiel, das
man bereits im 14. Jahrhundert in Flandern erfand - eine Walze mit
kleinen Erhebungen eingebaut war. Diese
Erhebungen, Zinken oder Warzen genannt, rissen an Metallstiften
unterschiedlicher Länge und erzeugten so eine Melodie.
Nach dem gleichen
Prinzip funktioniert eine Spieldose noch heute.
Allerdings gibt
es inzwischen recht verschiedene Werke. Bei den einfachsten treibt
eine Kurbel die Walze an, deren Erhebungen dann die unterschiedlich
lang und unterschiedlich dick geschliffenen Zungen oder Zähne eines
Stahlplättchens, des Stimm- oder Tonkammes, anreißen, die in verschiedenen
Tonhöhen klingen.
Die
Walze enthält also die Partitur des zu spielenden Stücks. Die horizontalen
Zwischenräume zwischen den Walzen-Zinken legen dabei die Noten fest,
die vertikalen bestimmen den Rhythmus.
Hört man allerdings auf zu kurbeln, endet auch die Musik.
Komfortabler
sind Spielwerke mit Schlüssel
und Aufzugfeder.
Sie laufen automatisch ab, wenn man sie einmal aufgezogen hat. Von
ihnen gibt es auch besonders wertvolle Versionen mit 36 oder 72
Tönen.
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Klick
auf das Foto zum Vergrößern
Interessantes
Beispiel für ein
frühes
Walzen-Musikwerk
um
1820 mit
55 Tönen.
Tonzungen
in einzelnen
2-er und 3-er
Gruppen
angeschraubt.
- Mit
2
Melodien -
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- Ebenfalls nur einmal angestupst werden muß das Schnurzugwerk.
Dauerhandbedienung hingegen braucht wieder das Lochstreifenwerk.
Aber es hat den Vorteil, daß man mit ihm beliebig viele Musikstücke
spielen kann, während bei den anderen Werken fast immer nur ein
oder zwei Melodien erklingen.
Die Lochstreifen gibt es heute schon
mit vorgedruckten Tonfolgen zu kaufen, die nur noch ausgestanzt
werden müssen.
Aber es werden auch Blanko-Bänder angeboten, so daß
sich ein Spieldosen-Bastler zudem als Komponist betätigen kann.
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Nach dem Lochstreifenprinzip
arbeitet die der Spieldose eng verwandte
Plattenspieluhr.
Ein zungenbesetzer Melodienkamm korrespondiert hier mit einer runden,
an bestimmten Stellen ausgestanzten metallenen Scheibe.
Etwa eine
dreiviertel Minute Musik hat man so früher pro Platte gespeichert.
Tänze waren es meist und kurze Stücke von Zeitgenossen. Heute indes
klingen aus den Replikaten oft auch Ausschnitte aus berühmten Opern
oder Kompositionen von großen Ton-Künstlern wie Beethoven, Mozart
oder Brahms.
Um
1880
kam dann die plérodienique auf den Markt, die erste Spieldose mit
Doppelwalzen-Werk.
Fünf Jahre später konnten betuchte Musikliebhaber bereits Spieldosen
mit auswechselbaren
Walzen
erwerben.
Hier ein Original Inhaltsverzeichnis/
Melodienzettel einer
B.A. Brémond Spieldose
mit vier
wechselbaren Zylindern.
Bald darauf mußte der Walzenwechsel nicht mehr manuell
vorgenommen werden, sondern erfolgte mit Hilfe eines Drehhebels
und eines Federgehäuses. "Revolver"
nannte man dieses revolutionäre System - und so heißt es noch heute.
Über das Vallée
de Joux breitet sich Favres "Cartel"-Erfindung rasch aus.
Zu Beginn des 19. Jh. entstehen in Sainte-Croix die ersten
"Glockenspiele ohne Hammer und Glocke".
Das Bergörtchen
- über dessen Bahnhofsrestaurant-Fassade heute eine mattsilbrige,
geschmiedete Notenfolge prangt - wird zum Anziehungspunkt für Uhrmacher
aus der ganzen Region.
Auch Charles
Reuge,
ein horologer aus dem Val-de-Travers, läßt sich in Sainte-Croix
nieder und
beginnt ab 1865, Spieluhren herzustellen.
Mit Paillard et Cie. eröffnet
zehn Jahre später im Ort die erste Fabrik für mechanische Musiken.
Bald sind in ihren Mauern mehr als 600 Arbeiter mit der Herstellung
von Musikdosen beschäftigt.
1886
gründet auch Charles Reuge eine Fabrik.
Sainte-Croix erlebt eine wirtschaftliche Blüte. Bald fabrizieren
40 Unternehmen in Sainte-Croix Spieluhren, mechanische Singvögel
und Musikautomaten. Nahezu jede Familie der Umgebung stellt als
Zubrot zum kargen Ertrag ihrer Landwirtschaft in einer Stube ihres
Gehöfts oder in einem angrenzenden Schuppen Teile für die Produktion
der tönenden Dosen her.
Die wichtigsten
Komponenten einer "boîte à musique" sind der
Stimmkamm und der Zylinder.
Ihre Herstellung erfordert höchste Präzision, denn ihre Güte bestimmt
die Qualität des Werks.
Vier Arbeitsgänge prägen allein die Zurichtung des Zylinders,
nämlich...
1.
Die
Goupillage = Einsetzen der Stahlstifte auf der Zylinderoberfläche.
2.
Die Gommage
= Ausgießen des mit Stiften besetzten Zylinders mit
einem Harz-Gemisch.
3.
Die Frisage
= Schleifen der Stahlstifte auf die gleiche Länge.
4.
Die Plumage
= Ankleben von Dämpfer Federn unter den Tonfedern des
Stimmkamms.
Orchesterspieldose
mit
Glocken, Trommel, Kastagnette
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- Goupillage meint
das Einsetzen der Stahlstifte - die später vom Stimmkamm angerissen
werden sollen - in die zuvor gebohrten Löcher des Zylinders. Diese
Arbeit verrichteten ausschließlich Frauen.
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Für 100 eingesetzte Stifte
- das Einsetzen geschah mit einem "Poucette" genannten Spezialwerkzeug
- wurden 27 Rappen gezahlt.
Eine geschickte goupilleuse brachte
es auf 700 bis 800 Stifte pro Stunde.
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Nach der Goupillage
des Zylinders wird bei der Gommage Harz in sein Inneres gegossen.
Dadurch wird einerseits die Fixierung der Stahlstifte erreicht,
andererseits eine Gewichtserhöhung des Zylinders. Und höheres Gewicht
bedeutet bessere Klangfülle.
Im nächsten
Arbeitsschritt wird die Achse eingesetzt und der Zylinder an beiden
Seiten verschlossen. Danach erfolgt die Frisage, das Schleifen der
Stiftspitzen auf gleiche Länge.
Bei
der Plumage klebt der Arbeiter die
extrem wichtigen Klang-Dämpfer unter die Zähne des
Stimmkamms.
Früher benutzte man als Dämpf-Material Hühnerfedern (das französischeWort
plume bedeutet Feder), heute wird oft Plastik verwendet.
Dank der Plumage
wird der Klang abgedämpft, bevor der nächste Stift den Stimmzahn
anreißt. OHNE diese Dämpfer Federn würde der Klang durch starkes
klirren und quietschen stark beeinträchtigt werden.
Nun sind Zylinder
und Stimmkamm fertig für die Montage auf die Platine.
Die Antriebsfeder
und der Geschwindigkeitsregler
werden hinzugefügt, bei größeren Musikwerken auch die Anzeige
für den Melodienwechsel.
Um seine ganze Klangfülle wiedergeben zu können, erhält das Musikwerk
zudem ein Holzgehäuse.
Bis Mitte des
19. Jahrhunderts war das meist ein einfacher, rechteckiger Kasten
aus Ulmen-, Tannen-, Pappel-, Nußbaum- oder Lindenholz. Danach setzte
die große Blüte und Gestaltungs Vielfalt der Spieldose ein.
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- Sehr
frühe Spieldose
- um
1818 aus Genf
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Ihr
"Mantel" wurde edler, prachtvoller, mitunter auch pompöser.
Komplizierte Intarsienarbeiten, Schnitzwerk, Gemälde
und Vergoldungen
zierten bei den Holzboxen den Deckel, man dachte sich verschiedene
neue Gehäuse-Formen aus, experimentierte mit Materialien wie Glas
und Lack.
Tische, Truhen, Schränke wurden eigens für diese Art des
Musikautomaten gezimmert - mit Schubladen und Fächern für den Walzenvorrat.
Kleinere Werke wurden in Tabatieren und Taschenuhren eingebaut und
mit beweglichen Figuren kombiniert: einer pirouettendrehenden Ballerina
zum Beispiel oder einem Koch, der an seinem Miniatur-Herd den Löffel
in den Suppentopf senkt.
Heute wird für
die hölzerne Resonanzbox in der Regel Preßspan verwendet, der gegen
Witterungseinflüsse unempfindlicher ist und sich nicht spaltet.
Er wird mit Edelhölzern wie Nußbaum, Thuja, Palisander, Eiche oder
Zebrano furniert, mit Einlegearbeiten geschmückt und schließlich
mit 14 bis 15 Schichten Gummilack bestrichen.
- Die handwerkliche
Herstellung der Resonanzkästen wird in L´Auberson noch heute betrieben,
einem Straßendörfchen in der Nachbarschaft von Sainte-Croix, das
wie ein ausgefranster, heller Strich im Wiesengrün eines breiten
Hochtales liegt.
Allerdings üben nur noch zwei entsprechend spezialisierte
Kunsttischler ihr Metier hier aus.
Auguste Jacques und Denis Margot.
Monsieur Jacques ist schon lange im Rentenalter, mag sich aber nicht
zur Ruhe setzen.
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Sainte-Croix
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Seine Werkstatt hat er in dem Zustand belassen,
wie er sie vom Vater und der vom Großvater übernahm. Alte Pressen
und Zwingen lehnen dort neben dem Bollerofen in einer Ecke; es riecht
nach Leim, Holz, Lack und Politur.
Der jüngere
Kollege Margot arbeitet mit zwei Angestellten in einem etwas moderneren,
aber engeren Atelier. Deshalb kommt er stets auf einen Sprung zu
Maître Jacques in die Grand Rue 158, wenn wieder einmal ein neugieriger
Besucher sehen will, wie ein mit Intarsien kunstvoll geschmückter
Resonanz-Korpus für die metallenen Musikwerke entsteht.
Deren
traditionelle Produktion veranschaulicht auf der gegenüberliegenden
Straßenseite Frédérique Baud in dem kleinen, 1955 gemeinsam mit
seinen beiden jüngeren Brüdern Auguste und Robert gegründeten Musée
Baud.
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Frühes
Walzenspielwerk
um
1815
Tonzungen
in 3-er Gruppen.
Schweiz / Genf
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- Zur Vorführung
der uralten Gerätschaften legt "Frédy", wie den 83-jährigen
alle nennen, eine blaue Schürze an, setzt eine runde Drahtbrille
auf und stülpt ein reich besticktes Käppi auf's schüttere Haupt.
In dieser typischen Uhrmachermontur arbeitete einst sein Vater,
dessen Atelier
der Sohn sorgsam restaurieren ließ.
Im Funzelschein
einer Petroleumlampe hantiert Baud junior dort nun vor den staunenden
Museums Besuchern wie anno dazumal.
Mit Bürsten und Hühnerfedern,
riemengetriebenen Drehbänken, dünnen Holzstäben, einfachen Sägen,
Feilen und Zangen.
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Rasch
wird dabei deutlich, wie mühsam die Arbeit gewesen sein muß. Schneiden,
Fräsen, Sägen des Stimmkamms, dessen Zähnchen man für die tieferen
Töne mit Bleitropfen unterlegt; das exakte Abmessen und Bohren des
Zylinders, damit die Notenwerte auch später tatsächlich stimmen;
das Einsetzen und Abschleifen der Stifte.
Einige Phasen
dieses mühsamen Herstellungsprozesses haben inzwischen Maschinen
übernommen. Vom Grund her ist die Produktion einer Spieluhr jedoch
reine Fingerkunst geblieben.
Bei der Reuge
SA,
dem einzigen am Ort verbliebenen Hersteller mechanischer Musik nach
dem Niedergang der Firma Paillard, kann man sich davon überzeugen.
Das ehemalige
Paillard-Fabrikgebäude beherbergt seit 1985 das Centre
International de la Mécanique d'Art (CIMA), ein Museum zur Geschichte
des mechanischen Klangs,
angefangen vom mechanischen Singvogel, den Pierre Jaquet-Droz 1780
in La Chaux-de-Fonds erfand, über die Musikdosen bis hin zum Edinsonschen
Zylinderphonograph, dessen erste Modelle die Sainte-Croixer Fabrikanten
Thorens und Paillard realisierten.
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Die beiden Museen dieser
Region
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Das 1955 in L'Auberson eröffnete das
Musee Baud in L'Auberson bei Sainte-Croix.
Musée
Baud Grand Rue 23,
CH-1454 L'Auberson,
Tel.: 0041 / 24 / 454 24 84
Und das 1985 geschaffene Museum der CIMA
(Centre
international de la mecanique d'art) in Sainte-Croix.
Musée
d'Automates et de Boîtes à Musique (CIMA) Rue de l'industrie 2,
CH-1450 Sainte-Croix,
Tel.: 0041 / 24 / 454 44 77
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Aus dem Nachlaß
der Firma Paillard, die 1975 den Namen Hermes annahm und sich nach
der Produktion von Plattenspielern und Radioapparaten auf Schreibmaschinen
und Filmapparaturen spezialisierte, stammt auch ein Großteil der
CIMA-Exponate.
Andere Stücke der Sammlung wurden von Familien der
Region zur Verfügung gestellt. Denn fast jeder in Sainte-Croix
und in den Dörfern der Umgebung hatte einst in irgendeiner Form
mit der Fertigung von Musikdosen und der Fabrikation von Klangautomaten
zu tun.
Heute sind im
pays des rêves mécaniques nur noch etwa 200 Menschen in der Musikdosen-Industrie
tätig. Das Gros von ihnen ist bei Reuge Music angestellt, arbeitet
dort direkt in der Produktion oder fertigt in Heimarbeit das Federkleid
mechanischer Vögel, die später mit Nachtigallenruf oder Finkenzwitschern
aus Tabatieren emporsteigen oder in goldenen Käfigen den Schnabel
öffnen, als könnten sie wahrhaftig singen.
- Ein kleiner
Teil arbeitet - wie die Kunsttischler Jacques und Margot - in Spezialwerkstätten
und Ateliers.
Auch Michel Bourgoz zählt zu diesem Grüppchen. Sein
Arbeitstisch steht unter dem Dach des Musée Baud, der privaten Musikautomatensammlung
seines Onkels Frédérique, von dessen väterlicher Werkstatt schon
die Rede war.
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Aus der ganzen Welt erreichen den jungen "Rhabilleur"
Anfragen zur Restaurierung oder Reparatur der subtilen Mechanismen
von Spieldosen und anderen automatischen Musikinstrumenten. Zwei
Angestellte und Onkel "Frédy" helfen, die Aufträge auszuführen.
Die Werkstatt
und das Museum sind für Frédérique
Baud sein
Lebenselixier. Wie Neffe Michel erscheint er daher jeden Morgen
pünktlich in der Grand Rue 23 und schlüpft in den grauen Arbeitskittel.
In ihm führt er Besucher auch durch das liebevoll zusammengetragene
Sammelsurium seiner beiden Museumsräume.
Ein Handgriff, ein Kurbeldreh,
eine Münze, die durch einen Einwurfschlitz gleitet. Schon zirpt
und tschingt es, tönen Glöckchen und Trommeln, steigen Walzermelodien
auf aus kostbar verzierten Tannen-Kästchen und regen porzellangesichtige
Puppenautomaten ihre Glieder zu zarten Klängen.
Über jedes Exponat
weiß Monsieur Frédy eine Geschichte, sei es nun die blasebalgbetriebene
"Vogelorgel", die Flötenuhr oder die Lochkarten-Organina,
das nach dem Prinzip Antoine Favres mit Stiftwalze, Stimmkamm und
Aufziehvorrichtung funktionierende "Cartel" in seiner
intarsienverzierten Schubladenbox, der Handharmonikaspieler oder
der mit fünf winzigen Tänzerinnen in Bauerntracht bestückte Bahnhofsmusik-Automat.
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- Etwa 20 solcher
automatischer "Bahnhofsmusiken", hergestellt vor gut 100
Jahren im pays des rêves mécaniques, sind noch heute an Schweizer
Bahnstationen in Betrieb. Eine davon ist Yverdons, die Talstation
des Bergbähnchens nach Sainte-Croix.
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- An der Stirnwand ihres Wartesaals
hängt dort neben dem silbern blitzenden Telefonapparat ein brauner,
fast schrankbreiter Guckfenster-Kasten.
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Für 20 Rappen offenbart
er auch dem Menschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
noch seinen
nostalgischen Zauber.
Die Münze fällt, ein Licht blinkt auf, der
armlange Klangzylinder beginnt zu rotieren. Die Zähne des Stimmkamms
reißen die haarfeinen Walzenstifte an, im Hintergrund beginnen Zimbeln
und Tschinellen zu vibrieren, vorne drehen sich beineschwingend
winzige Trachtenpüppchen, und alle Bewegung mündet in Töne, und
die Töne fügen sich zu einer Melodie, zu einem akustischen Gruß
aus der Glanzzeit der boîte à musique.... dem "Donauwalzer"
von Johann Strauß.
Mit
dem Aufkommen des Grammophons Anfang des 20. Jahrhunderts war die
große Zeit der Spieldose vorüber.
Krieg
und europäische Wirtschaftskrise sorgten zudem dafür, daß das Interesse
an dem Luxusartikel rapide schwand. Mit wiedererstarkender Ökonomie
und dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam fernöstliche Konkurrenz
auf.
Sie verwandelte das einst edle Musikgerät Spieldose zum Souvenir-Objekt.
Spieldosen-Melodien erklangen fortan aus Lampenfüßen, Korkenziehern
und sogar aus Toilettenpapierhaltern.
Doch im Zuge des allgemeinen Trends zu "traditionellen"
Werten erlebt auch die historische Spieluhr in jüngster Zeit eine
Renaissance.
In Sainte-Croix
entschloß sich die Firma Reuge bereits in den 60´er Jahren, erneut
die Fabrikation großer Cartels aufzunehmen. Außerdem übernahm das
Haus das auf Vogelautomaten spezialisierte Unternehmen Bontemps,
eine Gründung des französischen Uhrmachers Blaise Bontemps, der
den mechanischen Singvogel von Pierre Jaquet-Droz Anfang des 19.
Jh. so verbesserte, daß seither bei der Produktion keine
bedeutenden Änderungen vorgenommen werden mußten.
Auch im Kleinen
spürt man in Sainte-Croix das wiedererstarkende Interesse an mechanischer
Musik und an Automaten.
So schwebt im Entrée des CIMA-Museums ein
schwarz-weißer Engel in nackter Schaufensterpuppengestalt. Er bewegt
Arme, Beine, den Kopf - und atmet.
Francois Junod, ein Automatier
aus Sainte-Croix, entwarf und realisierte dieses menschliche Himmelswesen
aus Kunststoff und Metall, das inzwischen zum Werbe-Symbol wurde
für das Centre International de la Mécanique d'Art.
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