Autor dieser Seiten:  Detlef Knick - Berlin 
 
 
Die Chinesische
N a c h t i g a l l
 
Mechanische Nachtigall vs. lebendige Nachtigall
 
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square30_yellow.gif  Die Chinesische Nachtigall - Ein Märchen von Hans-Christian Andersen
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Wenn Sie schon lange kein Märchen mehr gelesen haben,
holen Sie das doch jetzt hier einfach mal nach!
Auch gut zum Vorlesen vor Kindern geeignet
 
 
Die Chinesische Nachtigall
Ein Märchen von Hans-Christian Andersen
 
 
Dieses wenig bekannte Märchen von Hans Christian Andersen (geb. 1805 in Dänemark) handelt vom "Widerstreit" einer mechanischen/künstlichen von Menschenhand geschaffenen Nachtigall und deren Gesang, sowie dem originalen Gesang einer richtigen lebendigen Nachtigall.
Hier stehen sich also die künstliche und die lebendige Nachtigall mit ihrem Können gegenüber.
Kann mechanische Musik wie originale lebendige Musik empfunden werden?
Der Kaiser ist eine Zeit lang mit seinem künstlichen Vogel sehr zufrieden, am Ende siegt dann aber doch die lebendige Nachtigall.
 
Andersen hebt hier - wie in vielen seiner 168 Volksmärchen - den moralischen Zeigefinger.
 
 
 
In China, weißt du ja wohl, ist der Kaiser ein Chinese, und alle, die er um sich hat, sind Chinesen. Es ist nun viele Jahre her, aber gerade deshalb ist es wert, die Geschichte zu hören, ehe sie vergessen wird.
 
Des Kaisers Schloss war das prächtigste der Welt, ganz und gar von feinem Porzellan, so kostbar, aber so spröde, so misslich daran zu rühren, dass man sich ordentlich in acht nehmen musste.
 
Im Garten sah man die wunderbarsten Blumen, und an die allerprächtigsten waren Silberglocken gebunden, die erklangen, damit man nicht vorbeigehen möchte, ohne die Blumen zu bemerken.
Ja, alles war in des Kaisers Garten fein ausgedacht, und er erstreckte sich so weit, dass der Gärtner selbst das Ende nicht kannte; ging man immer weiter, so kam man in den herrlichsten Wald mit hohen Bäumen und tiefen Seen.
Der Wald ging gerade hinunter bis zum Meere, das blau und tief war. Große Schiffe konnten unter den Zweigen hinsegeln, und in diesen wohnte eine Nachtigall, die so herrlich sang, dass selbst der arme Fischer, der soviel anderes zu tun hatte, stillhielt und horchte wenn er nachts ausgefahren war, um das Fischnetz aufzuziehen.
 
"Ach Gott, wie ist das schön!" sagte er, aber dann musste er auf sein Netz Acht geben und vergaß den Vogel. Doch wenn dieser in der nächsten Nacht wieder sang und der Fischer dorthin kam, sagte er wieder: "Ach Gott, wie ist das doch schön!"
 
Von allen Ländern kamen Reisende nach der Stadt des Kaisers und bewunderten sie, das Schloss und den Garten. Doch wenn sie die Nachtigall zu hören bekamen, sagten sie alle:
"Das ist doch das Beste!"
 
Die Reisenden erzählten davon, wenn sie nach Hause kamen, und die Gelehrten schrieben viele Bücher über die Stadt, das Schloss und den Garten, aber die Nachtigall vergaßen sie nicht. Sie wurde am höchsten gestellt und die, welche dichten konnten, schrieben die herrlichsten Gedichte über die Nachtigall im Walde bei dem tiefen See.
 
Die Bücher durchliefen die Welt, und einige kamen dann auch einmal zum Kaiser. Er saß in seinem goldenen Stuhl las und las, jeden Augenblick nickte er mit dem Kopfe, denn er freute sich über die prächtigen Beschreibungen der Stadt, des Schlosses und des Gartens. "Aber die Nachtigall ist doch das Allerbeste!" stand da geschrieben.
 
"Was ist das?" fragte der Kaiser. "Die Nachtigall kenne ich ja gar nicht! Ist ein solcher Vogel hier in meinem Kaiserreiche und sogar in meinem Garten? Das habe ich nie gehört. So etwas soll man erst aus Büchern erfahren?" Da rief er seinen Haushofmeister.
 
"Hier soll ja ein höchst merkwürdiger Vogel sein, der Nachtigall genannt wird!" sagte der Kaiser. "Man spricht, dies sei das Allerbeste in meinem großen Reich! Weshalb hat man mir nie etwas davon gesagt?"
 
"Ich habe ihn früher nie nennen hören", sagte der Haushofmeister.
"Er ist nie bei Hofe vorgestellt worden!"
 
"Ich will, dass er heute Abend herkomme und vor mir singe!" sagte der Kaiser. "Die ganze Welt weiß, was ich habe, und ich weiß es nicht!"
 
"Ich habe ihn früher nie nennen hören!" sagte der Haushofmeister. "Ich werde ihn suchen, ich werde ihn finden!"
 
 
Aber wo war er zu finden? Der Haushofmeister lief alle Treppen auf und nieder, durch Säle und Gänge, keiner von allen denen, auf die er traf, hatte von der Nachtigall sprechen hören.
Und der Haushofmeister lief wieder zum Kaiser und sagte, dass es sicher eine Fabel von denen sei, die da Bücher schreiben.
 
"Dero Kaiserliche Majestät können gar nicht glauben, was da alles geschrieben wird. Das sind bestimmt Erdichtungen und etwas, was man die schwarze Kunst nennt!"
 
"Aber das Buch, in dem ich dieses gelesen habe", sagte der Kaiser, "ist mir von dem großmächtigen Kaiser von Japan gesandt, also kann es keine Unwahrheit sein.
Ich will die Nachtigall hören. Sie muss heute Abend hier sein! Sie hat meine höchste Gnade! Und kommt sie nicht, so soll dem ganzen Hof auf den Leib getrampelt werden, wenn er Abendbrot gegessen hat!"
 
"Tsing-pe!" sagte der Haushofmeister und lief wieder alle Treppen auf und nieder, durch alle Säle und Gänge. Der halbe Hof lief mit, denn sie wollten nicht gern auf den Leib getrampelt werden. Da gab es ein Fragen nach der merkwürdigen Nachtigall, die von aller Welt gekannt war, nur von niemand bei Hofe.
 
Endlich trafen sie ein kleines, armes Mädchen in der Küche. Sie sagte:
Oh Gott, die Nachtigall, die kenne ich gut, ja, wie kann die singen!
Jeden Abend habe ich die Erlaubnis, meiner armen, kranken Mutter einige Überbleibsel vom Tische mit nach Hause zu bringen. Sie wohnt unten am Strande, wenn ich dann zurückgehe, müde bin und im Walde ausruhe, höre ich Nachtigall singen. Es kommt mir dabei das Wasser in die Augen, und es ist gerade, als ob meine Mutter mich küsste!"
 
"Kleine Köchin", sagte der Haushofmeister, "ich werde dir eine feste Anstellung in der Küche und die Erlaubnis, den Kaiser speisen zu sehen, verschaffen, wenn du uns zur Nachtigall führen kannst. Denn sie ist zu heute Abend angesagt."
 
So zogen sie allesamt hinaus in den Wald, wo die Nachtigall zu singen pflegte. Der halbe Hof war mit. Als sie im besten Zuge waren, fing eine Kuh zu brüllen an.
"Oh!" sagten die Hofjunker, "nun haben wir sie; das ist doch eine merkwürdige Kraft in einem so kleinen Tiere! Die habe ich sicher schon früher gehört!"
"Nein, das sind Kühe, die brüllen!" sagte die kleine Köchin. "Wir sind noch weit von dem Orte entfernt!"
 
Nun quakten die Frösche im Sumpf.
"Herrlich!" sagte der chinesische Schlosspropst. "Nun höre ich sie, es klingt gerade wie kleine Tempelglocken."
"Nein, das sind Frösche!" sagte die kleine Köchin. "Aber nun, denke ich werden wir sie bald hören!"
 
Da begann die Nachtigall zu singen.
"Das ist sie", sagte das kleine Mädchen. "Hört, hört! Und da sitzt sie!" Sie zeigte nach einem kleinen, grauen Vogel oben in den Zweigen.
 
"Ist es möglich?" sagte der Haushofmeister. "So hätte ich sie mir nimmer gedacht; wie einfach sie aussieht! Sie hat sicher ihre Farbe darüber verloren, dass sie so viele vornehme Menschen um sich erblickt!"
"Kleine Nachtigall", rief die kleine Köchin ganz laut, "unser gnädigste Kaiser will, dass Sie vor ihm singen möchten!"
"Mit dem größten Vergnügen", sagte die Nachtigall und sang dann, dass es eine Lust war.
 
 
 
"Es ist gerade wie Glasglocken!" sagte der Haushofmeister. "Und seht die kleine Kehle, wie sie arbeitet! Es ist merkwürdig, dass wir sie früher nie gesehen haben; sie wird großes Aufsehen bei Hofe machen!"
 
"Soll ich noch einmal vor dem Kaiser singen?" fragte die Nachtigall, die glaubte, der Kaiser sei auch da.
 
"Meine vortreffliche, kleine Nachtigall", sagte der Haushofmeister, "ich habe die große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute Abend einzuladen, wo Sie dero hohe Kaiserliche Gnaden mit Ihrem prächtigen Gesange bezaubern werden!"
"Der nimmt sich am besten im Grünen aus!" sagte die Nachtigall, aber sie kam doch gern mit, als sie hörte, dass der Kaiser es wünschte.
 
Auf dem Schlosse war alles aufgeputzt. Wände und Fußboden, die von Porzellan waren, glänzten im Strahl vieler tausend goldener Lampen, und die prächtigsten Blumen, die recht klingeln konnten, waren in den Gängen aufgestellt. Da war ein Laufen und ein Zugwind, aber alle Glocken klingelten so, dass man sein eigenes Wort nicht hören konnte.
 
Mitten in dem großen Saal, wo der Kaiser saß, war ein goldener Stab hingestellt, auf dem sollte die Nachtigall sitzen. Der ganze Hof war da, und die kleine Köchin hatte die Erlaubnis erhalten, hinter der Tür zu stehen, da sie nun den Titel einer wirklichen Hofköchin bekommen hatte. Alle waren in ihrem größten Staate, und alle sahen nach dem kleinen, grauen Vogel, dem der Kaiser zunickte.
 
Die Nachtigall sang so herrlich, dass dem Kaiser die Tränen in die Augen traten, die Tränen liefen ihm über die Wangen hernieder, und da sang die Nachtigall noch schöner. Das ging recht zu Herzen.
Der Kaiser war sehr erfreut und sagte, dass die Nachtigall einen goldenen Pantoffel um den Hals tragen solle. Aber die Nachtigall dankte, sie habe schon Belohnung genug erhalten.
 
"Ich habe Tränen in des Kaisers Augen gesehen, das ist mir der reichste Schatz! Gott weiß es, ich bin genug belohnt!" Und darauf sang sie wieder mit ihrer süßen, herrlichen Stimme.
 
Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihren eigenen Käfig haben, samt der Freiheit, zweimal des Tages und einmal des Nachts herauszuspazieren. Sie bekam zwölf Diener mit, die ihr ein Seidenband um das Bein geschlungen hatten, woran sie sie festhielten. Es war durchaus kein Vergnügen bei solchem Ausflug.
 
Eines Tages erhielt der Kaiser aber eine Kiste, auf der geschrieben stand: "Die Nachtigall."
 
"Da haben wir nun ein neues Buch über unseren berühmten Vogel!" sagte der Kaiser. Aber es war kein Buch, es war ein Kunststück, das in einer Schachtel lag, eine künstliche Nachtigall, die der lebenden gleichen sollte, aber überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt war.
 
Sobald man den künstlichen Vogel aufzog, konnte er eins der Stücke, singen, und dann bewegte sich der Schweif auf und nieder und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals hing ein kleines Band, und darauf stand geschrieben:
"Des Kaisers von Japan Nachtigall ist arm gegen die des Kaisers von China."
 
 
 
"Das ist herrlich!" sagten alle, und der Mann, der den künstlichen Vogel gebracht hatte, erhielt sogleich den Titel:
Kaiserlicher Oberhofnachtigallbringer.
"Nun müssen sie zusammen singen! Was wird das für ein Genuss werden!"
 
Sie mussten zusammen singen, aber es wollte nicht recht gehen, denn die wirkliche Nachtigall sang auf ihre Weise, und der Kunstvogel ging auf Walzen.
"Der hat keine Schuld", sagte der Spielmeister. "Der ist besonders taktfest und ganz nach meiner Schule!" Nun sollte der Kunstvogel allein singen. Er machte ebenso viel Glück wie der wirkliche. Und dann war er viel niedlicher anzusehen. Er glänzte wie Armbänder und Brustnadeln.
 
Dreiunddreißigmal sang er ein und dasselbe Stück und war doch nicht müde. Die Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört, aber der Kaiser meinte, dass nun auch die lebendige Nachtigall etwas singen solle.
Aber wo war die? Niemand hatte bemerkt, dass sie aus dem offenen Fenster fort zu ihren grünen Wäldern geflogen war.
 
"Aber was ist denn das?" fragte der Kaiser. Alle Hofleute schalten und meinten, dass die Nachtigall ein höchst undankbares Tier sei. "Den besten Vogel haben wir doch!" sagten sie, und so musste der Kunstvogel wieder singen.
Das war das vierunddreißigste Mal, dass sie dasselbe Stück zu hören bekamen, aber sie konnten es noch nicht ganz auswendig, denn es war sehr schwer.
 
 
Der Spielmeister lobte den Vogel außerordentlich, ja, er versicherte, dass er besser als die wirkliche Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten betreffe, sondern auch innerlich.
 
"Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor allen!
 
Bei der wirklichen Nachtigall kann man nie berechnen, was da kommen wird, aber bei dem Kunstvogel ist alles bestimmt. Man kann es erklären, man kann ihn aufmachen und das menschliche Denken zeigen, wie die Walzen liegen, wie sie gehen und wie das eine aus dem andern folgt!"
 
 
"Das sind ganz unsere Gedanken!" sagten sie alle, und der Spielmeister erhielt die Erlaubnis, am nächsten Sonntag den Vogel dem Volke vorzuzeigen.
Es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser. Und es hörte ihn, und es wurde so vergnügt, als ob es sich im Tee berauscht hätte, denn das ist ganz chinesisch. Da sagten alle: "Oh!" und hielten den Zeigefinger in die Höhe und nickten dazu.
 
Aber die armen Fischer, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: "Es klingt hübsch, die Melodien gleichen sich auch, aber es fehlt etwas, wir wissen nicht was!"
 
Die wirkliche Nachtigall ward aus dem Lande und Reiche verwiesen.
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem seidenen Kissen dicht bei des Kaisers Bett. Alle Geschenke die er erhalten hatte, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her. Und im Titel war er zu einem 'Hochkaiserlichen Nachttischsänger' gestiegen.
 
So ging es ein ganzes Jahr. Der Kaiser, der Hof und alle die übrigen Chinesen konnten jeden kleinen Kluck in des Kunstvogels Gesang auswendig, aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am allerbesten. Sie konnten selbst mitsingen, und das taten sie.
Die Straßenbuben sangen "Ziziiz! Kluckkluckkluck!" und der Kaiser sang es. Ja, das war gewiss prächtig!
 
Aber eines Abends, als der Kunstvogel am besten sang und der Kaiser im Bette lag und darauf hörte, sagte es "Schwupp" inwendig im Vogel; da sprang etwas. "Schnurrrr!" Alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.
 
 
 
Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt rufen. Aber was konnte der helfen?
 
Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen brachte er den Vogel etwas in Ordnung, aber er sagte, dass er sehr geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es sei unmöglich, neue so einzusetzen, dass die Musik sicher gehe.
 
Das war nun eine große Trauer!
 
Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel nur noch singen lassen, und das war fast schon zuviel. Aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede mit schweren Worten und sagte, dass es ebenso gut wie früher sei, und dann war es ebenso gut wie früher.
 
Nun waren fünf Jahre vergangen, und das ganze Land bekam eine wirkliche große Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde allesamt große Stücke auf ihren Kaiser, und jetzt war er krank und konnte nicht länger leben.
Schon war ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand draußen auf der Straße und fragte den Haushofmeister, wie es seinem alten Kaiser gehe.
 
Kalt und bleich lag der Kaiser in seinem großen prächtigen Bett. Der ganze Hof glaubte ihn tot, und ein jeder lief, den neuen Kaiser zu begrüßen. Die Kammerdiener liefen hinaus, um darüber zu sprechen. Und die Kammermädchen hatten große Kaffeegesellschaft.
 
Ringsumher in allen Sälen und Gängen war Tuch ausgelegt, damit man niemand gehen höre, deshalb war es sehr still. Aber der Kaiser war noch nicht tot. Steif und bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den langen Samtvorhängen und den schweren Goldquasten. Hoch oben stand ein Fenster auf und der Mond schien herein auf den Kaiser und den Kunstvogel.
 
Der arme Kaiser konnte kaum atmen, es war gerade, als ob etwas auf seiner Brust säße. Er schlug die Augen auf, und da sah er, dass es der Tod war.
Er hatte sich eine goldene Krone aufgesetzt und hielt in der einen Hand des Kaisers goldenen Säbel, in der andern seine prächtige Fahne. Ringsumher aus den Falten der großen Samtbettvorhänge sahen allerlei wunderliche Köpfe hervor. Einige ganz hässlich, andere lieblich und mild. Das waren des Kaisers gute und böse Taten die ihn anblickten, jetzt, da der Tod ihm auf dem Herzen saß.
 
"Entsinnst du dich dessen?" Und dann erzählten sie ihm so viel, dass ihm der Schweiß von der Stirne rann.
"Das habe ich nie gewusst!" sagte der Kaiser. "Musik, Musik, die große chinesische Trommel" rief er. "Damit ich nicht alles zu hören brauche, was sie sagen!"
 
Aber sie fuhren fort, und der Tod nickte wie ein Chinese zu allem, was gesagt wurde. "Musik, Musik!" schrie der Kaiser. "Du kleiner herrlicher Goldvogel, singe doch, singe doch!
Ich habe dir Gold und Kostbarkeiten gegeben, ich habe dir selbst meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt, singe doch, singe!"
 
Aber der Vogel stand still, es war niemand da, um ihn aufzuziehen. Sonst sang er nicht, und der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen leeren Augenhöhlen anzustarren, es war still, erschrecklich still.
 
Da klang auf einmal vom Fenster her der herrlichste Gesang. Es war die kleine, lebendige Nachtigall, die auf einem Zweige draußen saß.
 
Sie hatte von der Not ihres Kaisers gehört und war deshalb gekommen, ihm Trost und Hoffnung zu singen. Und so wie sie sang, wurden die Gespenster bleicher und bleicher, das Blut kam immer rascher und rascher in des Kaisers schwachen Gliedern in Bewegung. Selbst der Tod horchte und sagte: "Fahre fort, kleine Nachtigall! Fahre fort!"
 
"Ja, willst du mir den prächtigen, goldenen Säbel geben? Willst du mir die reiche Fahne geben? Willst du mir des Kaisers Krone geben?"
 
Der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang, und die Nachtigall fuhr fort zu singen. Sie sang von dem stillen Gottesacker, wo die weißen Rosen wachsen, wo der Flieder duftet und wo das frische Gras von den Tränen der Überlebenden befeuchtet wird.
Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte wie ein kalter, weißer Nebel aus dem Fenster.
 
"Dank, Dank!" sagte der Kaiser, "du himmlischer, kleiner Vogel, ich kenne dich wohl! Dich habe ich aus meinem Lande und Reich gejagt, und doch hast du die bösen Geister von meinem Bette weggesungen, den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich dich belohnen?"
 
"Du hast mich belohnt!" sagte die Nachtigall. "Ich habe deinen Augen Tränen entlockt, als ich das erstemal sang, das vergesse ich nie. Das sind die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen. Aber schlafe nun und werde stark, ich werde dir vorsingen!"
 
Sie sang, und der Kaiser fiel in süßen Schlummer, mild und wohltuend war der Schlaf!
Die Sonne schien durch das Fenster herein, als er gestärkt und gesund erwachte. Keiner von seinen Dienern war noch zurückgekehrt; denn sie glaubten, er sei tot.
Aber die Nachtigall saß noch und sang.
 
"Immer musst du bei mir bleiben!" sagte der Kaiser. "Du sollst nur singen, wenn du selbst willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend Stücke."
 
 
"Tue das nicht",
 
sagte die Nachtigall,
 
"der hat ja das Gute
 
getan solange er
 
konnte, behalte ihn
 
wie bisher.
 
 
Ich kann nicht nisten und wohnen im Schloss, aber lass mich kommen, wenn ich selbst Lust habe. Da will ich des Abends dort beim Fenster sitzen und dir vorsingen, damit du froh und gedankenvoll zugleich werden kannst.
Ich werde von den Glücklichen singen und von denen, die da leiden. Ich werde vom Bösen und Guten singen. Aber eins musst du mir versprechen!"
 
"Alles!" sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht, die er angelegt hatte, und drückte den Säbel, der schwer von Gold war, an sein Herz.
"Um eins bitte ich dich. Erzähle niemand, dass du einen kleinen Vogel hast, der dir alles sagt, dann wird es noch besser gehen!"
So flog die Nachtigall fort.
 
Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehen.
 
Ja, da standen sie, und der Kaiser sagte: "Guten Morgen!"
 
 
 
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